Ein Interview mit Sangita Ariane;
Das Gespräch führte Viktoria Sivulia (Volunteer und Community Managerin bei Seva India)
Es ist ein sonniger Morgen in Wien, August. Ich sitze auf einer Parkbank vor der Karlskirche und warte auf Sangita. Wir haben uns hier für ein Interview verabredet. Schon piepst mein Handy und ich erhalte ihren Text: „Ich verspäte mich ein wenig, komme per Fahrrad…“
Ich frage mich, ob ich Sangita nach ihrem 7 monatigen Aufenthalt in Indien wiedererkennen werde. Habe mir erzählen lassen, dass sie zuletzt in ein Dorf gezogen ist, im Naturpark Sundarbans, wo es noch Tiger, Krokodile und Schlangen gibt. Sie dort in einer Lehmhütte wohnt…
Da klingelt eine Radglocke und ich erblicke einen feingliedrigen Frauenkörper in indischem Hosenanzug: Sangita spaziert die letzten paar Meter ihr Rad schiebend auf mich zu. Indischer Flair in europäischer Haltung… Natürlich erkenne ich sie wieder! Es geht von dieser Person eine besondere Ausstrahlung aus. Sangita wird nicht älter, eher kindlicher. Oftmals lacht sie mitten im Satz, einmal muss sie auch weinen.
Von Döbling ins indische Dorf
Sie liebe Wien und die Karlskirche besonders. Dennoch fühle sie Abschiedsstimmung. Im Alter von 51 stehe sie an einem echten Wendepunkt, wenn auch noch offen sei, was konkret sich wende und wohin. Jedoch, die vergangenen 4 Monate im bengalischen Dorf erlauben kein Zurück in alte Gewohnheiten mehr.
Die in Wien Geborene, im Luxus von Döbling Aufgewachsene, Gattin eines (noch bis Juli aktiven) Managers, Mutter zweier junger Menschen, die im Ausland studiert und inzwischen das Berufsleben angetreten haben… diese Sangita hat in Indien mit Bio Bauern und Menschen zusammengelebt, die von früh bis spät auf Reisfeldern arbeiten und daneben diverse andere Jobs benötigen, um ihr Leben zu bestreiten. Menschen, die gelernt haben, mit Naturkatastrophen und Wildnis zusammenzuleben.

Menschen, deren Stärke Gemeinschaft ist. Sangita hat im Dorfteich gebadet und kennt nun den Luxus eines privaten Badezimmers mit fliessendem Wasser, sauberes warmes Trinkwasser zum Duschen! Sie schätzt Ordnung und Sauberkeit. An vielem habe es im Dorf gemangelt… und doch… Sangita seufzt und ich kann ihre Sehnsucht förmlich greifen. „Da war eine Natürlichkeit, eine Herzenswärme, die mir in Wien oft fehlt.“ An Wien schätzt sie die öffentlichen Verkehrsmittel, die Mülltrennung und das Radwege Netz.
Sangita’s hellgrüne Augen strahlen, wenn sie von den Kindern erzählt, die zu ihr geschickt wurden, um Englisch zu lernen – letztlich jedoch kamen, um mit Sangitas Farbstiften zu malen, frei und ohne Bewertung. Sangita spazierte und spielte mit den Kindern und schenkte ihnen individuell Gehör und Beachtung, was eine Seltenheit im Alltag eines bengalischen Kindes ist.
Kindheit fern der Wurzeln
„Wie war Deine Kindheit?“ frage ich sie. Unser Gespräch entwickelt sich leicht, entspannt… wie von der Brise getragen, die hier im Schatten des Baumes weht.
Erst rückblickend erkenne sie, dass sie in die „Gründerzeit einer Indo-europäischen Diaspora“ hineingeboren war. Ihr bengalischer Vater und ihre deutsche Mutter hatten es damals noch schwer, Verständnis für die andere Kultur zu entwickeln. „Ein Lernfeld für Liebe, Toleranz und Humor“ sinniert Sangita. Die internationale Gemeinschaft (IAEA, UN, indo-österreichische Gesellschaft ) trat auf den Plan wie eine Grossfamilie, bot einen Rahmen für gemeinsame Aktivitäten. „Meine Mutter war engagiert und half aus wo sie konnte. Zu Hause liefen indische Persönlichkeiten ein- und aus, Dinner Partys, Faschings Partys, Abschieds Partys … Es pulsierte und ich hatte immer eine bunte Palette an Freunden um mich… Mein Vater traf regelmässig seine bengalischen Freunde zu „Adda“ – der bengalischen Art des Plauschens, des Beisammenseins.
„Warst Du oft in Indien?“ möchte ich wissen. „Ja, alle 2 Jahre bekam mein Vater Heimaturlaub bezahlt und wir reisten für 3 Wochen zu seinen Freunden und Verwandten. Von solchen Reisen kehrten wir Kinder stets inspiriert zurück. Mit Koffern am Kopf liefen wir durch die Wohnung und imitierten die Rufe der Kulis (Gepäckträger) am Bahnhof von Howrah.“
Sangita erklärt, dass die Hauptmotivation für ihre langen Indienreisen seit 2016 das Erlernen ihrer Vatersprache gewesen sei. „Mein Vater lebte angepasst an die westliche Kultur und sprach Englisch mit uns. Ich glaubte kaum mehr daran, dass eines Tages Bengali direkt aus dem Herzen über meine Lippen strömen könne. Doch mit meiner Liebe zu den einfachen Menschen am Land geht es!“ Ihre Entwurzelung, das Gefühl überall als Ausländerin zu gelten, löste sich am Ende der ersten Indienreise, als ihr am Eingang zum botanischen Garten in Kolkata, nach kurzem Zögern, das Ticket zum Preis für Einheimische verkauft wurde.
Jede Indienreise veränderte ihren Blickwinkel, ihr Aktionsfeld. Sangita interessierte sich zunehmend für die indische Community in Wien und übernahm 2017 als General Secretary die Tagesgeschäfte der „Hinduistischen Religionsgesellschaft Österreich“. Sie suchte Tempel auf, wohnte Kulturveranstaltungen und Feiern aller Gruppen bei, lauschte Vorträgen und Konzerten, nahm an Events zu Yoga, Ayurveda und Meditation teil.
Ihre zweite Indienreise führte sie in spirituelle, familiäre und soziale Gemeinschaften, deren Leben und Arbeit sie studierte. Überall bemerkte sie neben dem wunderbaren Potential letzten Endes auch die Begrenzung, den „Tellerrand“. Höhepunkt dieser Reise bildete die Überquerung der politischen Grenze nach Bangladesh. Sangita wurde unerwartet an den Geburtsort ihres Grossvaters geführt und empfand dort ein zum Bersten volles Herz. Zurück in Wien gründete sie die Initiative „Bangla Ghor“, die auch beim ersten SEVA INDIA Festival Raum bekam. Hier feiern Bengal lovers aus Österreich, Bangladesch und Indien ihre gemeinsame Freude an Musik, Kulinarik, Sprache und Geschichte.
Beruf und Berufung
„Hattest Du einen Beruf?“ Sangita erwähnt Bücher und Gedichte, Workshops an Schulen und ihre therapeutische Arbeit. Yoga praktizierte sie bereits zur Schulzeit. Ihre kleinen Kinder nennt sie „Lehrmeister fürs Leben“. Körperarbeit folgte und nach einer Ausbildung zur Reiki Therapeutin leitete Sangita 5 Jahre lang ihre eigene Praxis. Dann wurde ihr jedoch gemeinschaftliches Lernen und Heilen immer wichtiger. Im Kontext des Alltags möchte sie sich in ihr Mensch Sein entwickeln.
„Ich will zu mir kommen, meine inneren Konflikte lösen und so mit dem Frieden IN mir selbst beginnen“ reflektiert Sangita, die inzwischen ihren Apfel ausgepackt hat und genüsslich hineinbeisst.
Gleichzeitig hat Sangita auch ein ambitioniertes Projekt in Arbeit: In Form eines Doktoratsstudiums möchte sie forschen, wie Lebensmittel zu Heilmittel werden, Mittel für unsere Heilung als Menschen. „Was hat meine Reifung mit der Reifung dieses Apfels gemeinsam?“ Sangita betrachtet den Apfel von allen Seiten. Sie möchte im Kontext ihrer Forschungsarbeit neben Bio Landbau „plus“ auch einen Heilraum für Waisenkinder schaffen.
Ich erbete ein abschliessendes Kommentar. Sangita lacht. „Wenn ich deprimiert war, erinnerte mich ein Freund am Telefon: „Sangita, Du musst Indien nicht ändern… Indien wird DICH ändern!“
Mehr über und von Sangita Ariane findest du auf Ihrem Blog. Tiefeweite
Am Mittwoch, den 11. Sept. 2019 lädt Sangita Ariane zu bengalischem „live feeling“ ein: Ein Tag mit BAULs – von Mensch zu Mensch“ .